Das Mädchen schien nicht besonders klug zu sein. Alle paar Minuten stieß es eine Art Wort hervor welches Stoga keiner Sprache zuordnen konnte. Ganz ähnlich dem Kleinkind von Banra, ihrer engsten Freundin in Mekka. Aber vielleicht war sie einfach auch nicht an solche einzeln gesetzten Worte gewöhnt denn Banra erkannte offensichtlich mühelos ‚Blume‘ oder ‚Auto‘ aus dem Gebrabbel ihres Lieblings heraus.
Stoga hatte mittlerweile einige Worte Finn gelernt. Schließlich befand sie sich ja jetzt schon fast ein Jahr hier in den Wäldern des Nordens bei den, mit Abstand, wildesten Menschen die sie bisher kennenlernen durfte. Sie hasste alles hier. Diese immerwährende Kälte, verglichen mit der heimatlichen Wüste, die einen dazu zwang sich einzupacken mit Fell und Leder. Diese primitiven Menschen mit ihren rückständigen Technologien, durchdrungen von den abartigsten, abergläubischen Erklärungen für die einfachsten Naturbegebenheiten. Und schließlich diese außergewöhnliche Grausamkeit mit der hier oben die Bao, also Ihresgleichen, von diesen Hinterwäldlern behandelt wurden. Und am meisten schmerzte sie, dass sie die Bao nicht retten durfte denn sie waren bisher allesamt Sklaven. Freien Bao von Mekka zu erzählen und sie aufzufordern einfach mitzukommen war erlaubt und erwünscht, aber Bao Sklaven waren das Eigentum von jemand und Smafo, der Gründer hatte den Rasu mit auf den Weg gegeben, dass alles was die Aufmerksamkeit auf Mekka lenken könnte unbedingt vermieden werden muss. Ein Sklavenbesitzer würde schon aus Prinzip den entflohenen Sklaven hinterherjagen und dabei vielleicht auf die Routen der Rasu stoßen was dann definitiv zu einer ungewollten Aufmerksamkeit führen konnte.
Stoga war eine Rasu. Auch deshalb war sie hier. Jahrelang hatte sie versucht schwanger zu werden und immer wieder für sich selbst Ausreden gefunden warum all ihre Schwangerschaften nicht über den dritten Monat hinausgingen. Die ersten Fehlgeburten hatten ihr jedes Mal den Boden unter den Füßen weggezogen und sie in ein Tal der Tränen gestürzt das sie ohne Banra wohl niemals hätte wieder verlassen können. Banra gab ihr jedes Mal wieder neue Hoffnung und Mut. Die fünfte Fehlgeburt ließ so etwas entstehen wie eine innere Hornhaut. Es ließ sie merkwürdig kalt werden, ohne Gefühle, hart, ein wenig wie sie sich einen Roboter vorstellte. Funktional, rational und immer das Richtige tuend. Selbst der Tod ihrer Mutter, der Rasu vor ihr, war für sie eine Meldung, ein Ereignis, doch Trauer oder Schmerz empfand sie nicht.
Und doch war gerade der Tod ihrer Mutter der Grund für Stogas Reise. Jede Rasu musste einen Nachfolger vorbereiten. So wie ihre Mutter ihr alles beigebracht hatte damit sie ihr nachfolgen konnte. Normalerweise war es üblich, dass das Amt übergeben wurde sobald die Talab, die Ausbildung als abgeschlossen galt. Stogas Mutter war auch mehr als Willens dazu. Es war Stoga, die Jahr für Jahr darum bat noch nicht die Bürde der Rasu tragen zu müssen. Doch der Tod ihrer Mutter führte automatisch dazu ihre Stellung als eine von 42 Rasu einzunehmen. So war jetzt Stoga gezwungen ihre offensichtliche Unfruchtbarkeit einzugestehen und ein Kind für die Ausbildung zu finden. Der weise Smafo hatte den Fall, dass ein Rasu ohne Nachkommen verbleibt, klar geregelt und bestimmt, dass dieser Rasu den gleichen Weg nehmen muss wie Smafo selbst. Der weiseste der Weisen hat der Überlieferung nach damals auf seiner Suche nach einem Zufluchtsort die 42 Bao Kinder mitgenommen die er höchstselbst zu den ursprünglichen Rasu ausgebildet hatte. Also war klar, dass sie nicht irgendein Kind aus Mekka ausbilden konnte sondern sich auf die Hajj begeben musste um das Kind zu finden.
Die Hajj war eine Reise die den Rasu und ihren Talaboa vorbehalten war weil alle anderen Mekkaner nicht ausgebildet waren um mit den Stämmen fertigzuwerden. Eine Hajj verfolgte immer drei Ziele.
Erstens: Den Entwicklungsstand der Stämme zu erkunden. Deshalb wurde das Ziel für die Hajj immer von dem Daira al Rasu bestimmt, denn das von Smafo vorgegebene Ziel sollte sein den Stämmen, die erste Tendenzen einer Zivilisation zeigten, in kleinen Dosierungen die Mekka Technologie zuzuführen. Von jedem Rasu wurde erwartet einen genauen Bericht seiner Hajj vorzulegen.
Zweitens: Bao zu finden um sie nach Mekka zu leiten wobei Kinder immer den Vorzug hatten denn sie hatten es viel leichter den kulturellen und technologischen Gegensatz zwischen den Stämmen und Mekka zu bewältigen. Nicht wenige Erwachsene die nach Mekka gebracht wurden konnten sich nicht integrieren und versuchten ihre rückständigen Religionen heimlich weiter zu leben was der weise Smafo zweifelsfrei verboten hatte.
Und Drittens: Den Bao Genpool zu verbreiten, denn der weise Smafo lehrte sie, dass die Bao Gene die gesunden Gene sind und je mehr sie sich verbreiten desto schneller gesundet die Menschheit. Deshalb war jede Mekkanerin und jeder Mekkaner angehalten sich reichlich zu vermehren. Männliche Rasu und Talaboa hatten während ihrer Hajj die exklusive Aufgabe so viele Bao wie möglich zu schwängern und die weiblichen Rasu und geschlechtsreife Talaboa waren angehalten schwanger nach Mekka zurückzukehren.
Und so kauerte Stoga nun auf ihrer vierzehnten Hajj, hier in dieser unfreundlichen, kühlen Gegend weitab jeglicher Zivilisation, überzeugt, dass diese Stämme nur deshalb keine Kannibalen waren, weil Rentierfleisch im Überfluss zur Verfügung stand. Sie kauerte um unsichtbar zu bleiben, denn sie hatte gerade ein etwa neun oder zehn Jahre altes Bao Mädchen entdeckt und beobachtete es eindringlich, aber es schien sich um ein weiteres, Holz sammelndes, Sklavenkind zu handeln. Und dieses hier erschien auch noch geistig zurückgeblieben, weil es stoßweise seltsame Laute von sich gab.
Unerwartet hörte sie ein Rascheln im Laub hinter sich auf sie zukommend. Stoga erstarrte und rührte sich nicht, denn sie rechnete mit einem Tier auf Beutesuche. Doch dann stapften zwei, hier in der Gegend typische, Fellstiefel an ihr vorbei auf das Mädchen zu. Stogas Tarnung war perfekt denn der Mann in den Stiefeln hatte keine Notiz von ihr genommen. Jetzt sah sie noch drei weitere Männer aus verschiedenen Richtungen geradewegs auf das Bao Mädchen zugehen. Sehr ungewöhnlich denn die Männer waren Herra, also die oberste Klasse bei den Sami. Herra gingen niemals in den Wald, weil dort die Dämonen wohnten. Stoga lachte innerlich bei dem Gedanken. Diese unzivilisierten Volltrottel. Was sie als Dämonen bezeichneten war die überlieferte Erfahrung, dass Menschen in den Wald gingen und krank zurückkehrten aufgrund der Strahlenkrankheit. Doch diese Geschichten waren Jahrhunderte alt und hatten mit der Realität schon lange nichts mehr zu tun. Warum fragten diese Dummköpfe sich niemals warum die Dämonen niemals die Proleta oder die Sklaven heimsuchten?
Es musste also einen wichtigen Grund geben warum die Herra höchstselbst außerhalb der Dorfgrenzen oder ihrer Rentierweiden im Wald herumstreunten. Die Männer umringten das Bao Mädchen welches aufschreckte und sich augenblicklich auf den Boden warf und angsterfüllt zitterte. Der Wind trug nur wenige Wortfetzen zu Stogas Versteck.
Baba…im Wald…zu Dämonen spricht…Hagel, Blitz und Donner…von Dämonen…viel mal viele Rentiere und Kostavallas Haus zerstört…Opfer für die Götter…heute Nacht bei Monduntergang.
Stoga konnte sich denken was so wichtig für die Herra war. Vor zwei Tagen fegte ein starkes Unwetter über das Land. Sie hatte die Hütte brennen sehen die von einem brennenden Baum getroffen wurde, den ein Blitz gerade zu Fall gebracht hatte. Doch anstatt sich zu freuen, dass der Rest vom Dorf zu regennass war um zu brennen, schob man die Naturgewalt einfach den Dämonen zu und auch gleich den Umstand, dass ein paar Rentiere aufgeschreckt die Umgebung erkundeten bevor sie wahrscheinlich wieder zurückkehren würden. Stoga wusste was sie mit dem Mädchen vorhatten. Typischerweise wurden bei solch einem Ereignis die vermeintlichen Auslöser rituell geopfert um die Dämonen zu besänftigen und die Götter zu stärken. Und dieses Mädchen war offenbar durch seine Laute im Wald aufgefallen und nun als mit den Dämonen im Bunde überführt worden. Dieses Bao Mädchen war also so gut wie tot. Stoga konnte den Mond noch nicht entdecken aber sie wusste, dass von Mondaufgang bis Monduntergang um diese Jahreszeit ungefähr zehn Stunden vergingen deshalb schätzte Sie, dass das Bao Mädchen im Morgengrauen vor dem gesamten Dorf geopfert werden würde. Das arme Mädchen. Stoga schüttelte verständnislos ihren Kopf. Nur eines von tausenden Menschen die der Dummheit und dem Aberglauben der Stämme zum Opfer fielen. Nur dafür, dass die anderen beruhigt schlafen konnten und sich nicht den Kopf über die Dämonen zerbrechen mussten.
Stoga erinnerte sich an ihre erste Hajj und an ihr Empfinden damals als sie das erste Menschenopfer untätig geschehen lassen musste. Sicher war sie vorbereitet worden. Die Talab, die Ausbildung zur Rasu durch ihre Mutter, erklärte genau zu was die Stämme fähig sind und welche Regeln eine Rasu dann zu befolgen hat. Stoga erinnerte sich an ihre unendliche Wut auf diese Menschen damals in der Oase mitten in der Sahara, die rational grundlos zwei Menschen die Köpfe bestialisch abhackten. Als junge Talaboa, wie die Rasu Lehrlinge genannt wurden, konnte sie zwar verstehen was ihre Rasu ihr dazu erklärte aber ihre Gefühle fuhren trotzdem Achterbahn. Es war schon richtig, dass wir alle in einer Zeit der Stämme lebten in der die allgemeine Lebenserwartung bei unter Dreißig lag. Viele Menschen der Stämme starben qualvoll und scheinbar ohne Auslöser und wussten nichts von Radioaktivität oder genetischen Mutationen. Sie schrieben das alles den Göttern oder Dämonen zu. Die Opfer mussten einfach helfen. Und je kostbarer das Opfer desto größer die Beruhigung für die Stammesmenschen. In der Hinsicht waren sie alle gleich. Ihre Mutter hatte ihr erklärt, dass die erste und wichtigste Regel der Rasu die Isolation von Mekka ist. Eine Rasu erzeugt also sehr wenig bis gar keine Aufmerksamkeit was definitiv jede Rettungsaktion oder Befreiungsversuche ausschließt. Stoga hatte über all ihre Reisen die Erfahrung gemacht, dass diese dummen Opferrituale bei weitem nicht die einzigen Todesursachen bei den Stämmen waren und dass es einfach unmöglich war all diese todgeweihten Menschen zu retten. Genau das war die Geduld die alle Rasu an dem weisen Gründer Smafo so bewunderten. Er dachte in größeren Dimensionen. Er sagte voraus, dass es viele hundert Jahre dauern würde bis die Stämme beginnen sich zu zivilisieren und bis dahin ist das erste, das wichtigste Gebot Mekka zu isolieren und Rasu als reine Beobachter einzusetzen. Ganz so wie ein Mensch einen Ameisenhaufen betrachtet und versucht in dem Gewusel Strukturen zu erkennen. Und obwohl ihr Herz so kalt wie ein Stein geworden war begab sie sich jetzt doch zurück in die eigene Gefühlswelt dieser zehnjährigen Talaboa in der Saharaoase an der Seite ihrer Mutter.
Ihr Entschluss stand jetzt fest. Sie würde das Bao Mädchen retten. Nicht wegen der alten Gefühle und auch nicht wegen dem Mädchen selbst, sondern weil es eine logische Gelegenheit war. Ein ganzes Jahr hatte sie in dieser Gegend kein freies Bao Mädchen gefunden. Das Schiff würde im nächsten Frühjahr kommen. Es blieb also nicht mehr viel Zeit für ihre Suche. Und dieses Mädchen würde, wie bei diesen nördlichen Stämmen üblich, in einer Opferzeremonie bei lebendigem Leib verbrannt werden.
Stoga hatte mittlerweile einige Worte Finn gelernt. Schließlich befand sie sich ja jetzt schon fast ein Jahr hier in den Wäldern des Nordens bei den, mit Abstand, wildesten Menschen die sie bisher kennenlernen durfte. Sie hasste alles hier. Diese immerwährende Kälte, verglichen mit der heimatlichen Wüste, die einen dazu zwang sich einzupacken mit Fell und Leder. Diese primitiven Menschen mit ihren rückständigen Technologien, durchdrungen von den abartigsten, abergläubischen Erklärungen für die einfachsten Naturbegebenheiten. Und schließlich diese außergewöhnliche Grausamkeit mit der hier oben die Bao, also Ihresgleichen, von diesen Hinterwäldlern behandelt wurden. Und am meisten schmerzte sie, dass sie die Bao nicht retten durfte denn sie waren bisher allesamt Sklaven. Freien Bao von Mekka zu erzählen und sie aufzufordern einfach mitzukommen war erlaubt und erwünscht, aber Bao Sklaven waren das Eigentum von jemand und Smafo, der Gründer hatte den Rasu mit auf den Weg gegeben, dass alles was die Aufmerksamkeit auf Mekka lenken könnte unbedingt vermieden werden muss. Ein Sklavenbesitzer würde schon aus Prinzip den entflohenen Sklaven hinterherjagen und dabei vielleicht auf die Routen der Rasu stoßen was dann definitiv zu einer ungewollten Aufmerksamkeit führen konnte.
Stoga war eine Rasu. Auch deshalb war sie hier. Jahrelang hatte sie versucht schwanger zu werden und immer wieder für sich selbst Ausreden gefunden warum all ihre Schwangerschaften nicht über den dritten Monat hinausgingen. Die ersten Fehlgeburten hatten ihr jedes Mal den Boden unter den Füßen weggezogen und sie in ein Tal der Tränen gestürzt das sie ohne Banra wohl niemals hätte wieder verlassen können. Banra gab ihr jedes Mal wieder neue Hoffnung und Mut. Die fünfte Fehlgeburt ließ so etwas entstehen wie eine innere Hornhaut. Es ließ sie merkwürdig kalt werden, ohne Gefühle, hart, ein wenig wie sie sich einen Roboter vorstellte. Funktional, rational und immer das Richtige tuend. Selbst der Tod ihrer Mutter, der Rasu vor ihr, war für sie eine Meldung, ein Ereignis, doch Trauer oder Schmerz empfand sie nicht.
Und doch war gerade der Tod ihrer Mutter der Grund für Stogas Reise. Jede Rasu musste einen Nachfolger vorbereiten. So wie ihre Mutter ihr alles beigebracht hatte damit sie ihr nachfolgen konnte. Normalerweise war es üblich, dass das Amt übergeben wurde sobald die Talab, die Ausbildung als abgeschlossen galt. Stogas Mutter war auch mehr als Willens dazu. Es war Stoga, die Jahr für Jahr darum bat noch nicht die Bürde der Rasu tragen zu müssen. Doch der Tod ihrer Mutter führte automatisch dazu ihre Stellung als eine von 42 Rasu einzunehmen. So war jetzt Stoga gezwungen ihre offensichtliche Unfruchtbarkeit einzugestehen und ein Kind für die Ausbildung zu finden. Der weise Smafo hatte den Fall, dass ein Rasu ohne Nachkommen verbleibt, klar geregelt und bestimmt, dass dieser Rasu den gleichen Weg nehmen muss wie Smafo selbst. Der weiseste der Weisen hat der Überlieferung nach damals auf seiner Suche nach einem Zufluchtsort die 42 Bao Kinder mitgenommen die er höchstselbst zu den ursprünglichen Rasu ausgebildet hatte. Also war klar, dass sie nicht irgendein Kind aus Mekka ausbilden konnte sondern sich auf die Hajj begeben musste um das Kind zu finden.
Die Hajj war eine Reise die den Rasu und ihren Talaboa vorbehalten war weil alle anderen Mekkaner nicht ausgebildet waren um mit den Stämmen fertigzuwerden. Eine Hajj verfolgte immer drei Ziele.
Erstens: Den Entwicklungsstand der Stämme zu erkunden. Deshalb wurde das Ziel für die Hajj immer von dem Daira al Rasu bestimmt, denn das von Smafo vorgegebene Ziel sollte sein den Stämmen, die erste Tendenzen einer Zivilisation zeigten, in kleinen Dosierungen die Mekka Technologie zuzuführen. Von jedem Rasu wurde erwartet einen genauen Bericht seiner Hajj vorzulegen.
Zweitens: Bao zu finden um sie nach Mekka zu leiten wobei Kinder immer den Vorzug hatten denn sie hatten es viel leichter den kulturellen und technologischen Gegensatz zwischen den Stämmen und Mekka zu bewältigen. Nicht wenige Erwachsene die nach Mekka gebracht wurden konnten sich nicht integrieren und versuchten ihre rückständigen Religionen heimlich weiter zu leben was der weise Smafo zweifelsfrei verboten hatte.
Und Drittens: Den Bao Genpool zu verbreiten, denn der weise Smafo lehrte sie, dass die Bao Gene die gesunden Gene sind und je mehr sie sich verbreiten desto schneller gesundet die Menschheit. Deshalb war jede Mekkanerin und jeder Mekkaner angehalten sich reichlich zu vermehren. Männliche Rasu und Talaboa hatten während ihrer Hajj die exklusive Aufgabe so viele Bao wie möglich zu schwängern und die weiblichen Rasu und geschlechtsreife Talaboa waren angehalten schwanger nach Mekka zurückzukehren.
Und so kauerte Stoga nun auf ihrer vierzehnten Hajj, hier in dieser unfreundlichen, kühlen Gegend weitab jeglicher Zivilisation, überzeugt, dass diese Stämme nur deshalb keine Kannibalen waren, weil Rentierfleisch im Überfluss zur Verfügung stand. Sie kauerte um unsichtbar zu bleiben, denn sie hatte gerade ein etwa neun oder zehn Jahre altes Bao Mädchen entdeckt und beobachtete es eindringlich, aber es schien sich um ein weiteres, Holz sammelndes, Sklavenkind zu handeln. Und dieses hier erschien auch noch geistig zurückgeblieben, weil es stoßweise seltsame Laute von sich gab.
Unerwartet hörte sie ein Rascheln im Laub hinter sich auf sie zukommend. Stoga erstarrte und rührte sich nicht, denn sie rechnete mit einem Tier auf Beutesuche. Doch dann stapften zwei, hier in der Gegend typische, Fellstiefel an ihr vorbei auf das Mädchen zu. Stogas Tarnung war perfekt denn der Mann in den Stiefeln hatte keine Notiz von ihr genommen. Jetzt sah sie noch drei weitere Männer aus verschiedenen Richtungen geradewegs auf das Bao Mädchen zugehen. Sehr ungewöhnlich denn die Männer waren Herra, also die oberste Klasse bei den Sami. Herra gingen niemals in den Wald, weil dort die Dämonen wohnten. Stoga lachte innerlich bei dem Gedanken. Diese unzivilisierten Volltrottel. Was sie als Dämonen bezeichneten war die überlieferte Erfahrung, dass Menschen in den Wald gingen und krank zurückkehrten aufgrund der Strahlenkrankheit. Doch diese Geschichten waren Jahrhunderte alt und hatten mit der Realität schon lange nichts mehr zu tun. Warum fragten diese Dummköpfe sich niemals warum die Dämonen niemals die Proleta oder die Sklaven heimsuchten?
Es musste also einen wichtigen Grund geben warum die Herra höchstselbst außerhalb der Dorfgrenzen oder ihrer Rentierweiden im Wald herumstreunten. Die Männer umringten das Bao Mädchen welches aufschreckte und sich augenblicklich auf den Boden warf und angsterfüllt zitterte. Der Wind trug nur wenige Wortfetzen zu Stogas Versteck.
Baba…im Wald…zu Dämonen spricht…Hagel, Blitz und Donner…von Dämonen…viel mal viele Rentiere und Kostavallas Haus zerstört…Opfer für die Götter…heute Nacht bei Monduntergang.
Stoga konnte sich denken was so wichtig für die Herra war. Vor zwei Tagen fegte ein starkes Unwetter über das Land. Sie hatte die Hütte brennen sehen die von einem brennenden Baum getroffen wurde, den ein Blitz gerade zu Fall gebracht hatte. Doch anstatt sich zu freuen, dass der Rest vom Dorf zu regennass war um zu brennen, schob man die Naturgewalt einfach den Dämonen zu und auch gleich den Umstand, dass ein paar Rentiere aufgeschreckt die Umgebung erkundeten bevor sie wahrscheinlich wieder zurückkehren würden. Stoga wusste was sie mit dem Mädchen vorhatten. Typischerweise wurden bei solch einem Ereignis die vermeintlichen Auslöser rituell geopfert um die Dämonen zu besänftigen und die Götter zu stärken. Und dieses Mädchen war offenbar durch seine Laute im Wald aufgefallen und nun als mit den Dämonen im Bunde überführt worden. Dieses Bao Mädchen war also so gut wie tot. Stoga konnte den Mond noch nicht entdecken aber sie wusste, dass von Mondaufgang bis Monduntergang um diese Jahreszeit ungefähr zehn Stunden vergingen deshalb schätzte Sie, dass das Bao Mädchen im Morgengrauen vor dem gesamten Dorf geopfert werden würde. Das arme Mädchen. Stoga schüttelte verständnislos ihren Kopf. Nur eines von tausenden Menschen die der Dummheit und dem Aberglauben der Stämme zum Opfer fielen. Nur dafür, dass die anderen beruhigt schlafen konnten und sich nicht den Kopf über die Dämonen zerbrechen mussten.
Stoga erinnerte sich an ihre erste Hajj und an ihr Empfinden damals als sie das erste Menschenopfer untätig geschehen lassen musste. Sicher war sie vorbereitet worden. Die Talab, die Ausbildung zur Rasu durch ihre Mutter, erklärte genau zu was die Stämme fähig sind und welche Regeln eine Rasu dann zu befolgen hat. Stoga erinnerte sich an ihre unendliche Wut auf diese Menschen damals in der Oase mitten in der Sahara, die rational grundlos zwei Menschen die Köpfe bestialisch abhackten. Als junge Talaboa, wie die Rasu Lehrlinge genannt wurden, konnte sie zwar verstehen was ihre Rasu ihr dazu erklärte aber ihre Gefühle fuhren trotzdem Achterbahn. Es war schon richtig, dass wir alle in einer Zeit der Stämme lebten in der die allgemeine Lebenserwartung bei unter Dreißig lag. Viele Menschen der Stämme starben qualvoll und scheinbar ohne Auslöser und wussten nichts von Radioaktivität oder genetischen Mutationen. Sie schrieben das alles den Göttern oder Dämonen zu. Die Opfer mussten einfach helfen. Und je kostbarer das Opfer desto größer die Beruhigung für die Stammesmenschen. In der Hinsicht waren sie alle gleich. Ihre Mutter hatte ihr erklärt, dass die erste und wichtigste Regel der Rasu die Isolation von Mekka ist. Eine Rasu erzeugt also sehr wenig bis gar keine Aufmerksamkeit was definitiv jede Rettungsaktion oder Befreiungsversuche ausschließt. Stoga hatte über all ihre Reisen die Erfahrung gemacht, dass diese dummen Opferrituale bei weitem nicht die einzigen Todesursachen bei den Stämmen waren und dass es einfach unmöglich war all diese todgeweihten Menschen zu retten. Genau das war die Geduld die alle Rasu an dem weisen Gründer Smafo so bewunderten. Er dachte in größeren Dimensionen. Er sagte voraus, dass es viele hundert Jahre dauern würde bis die Stämme beginnen sich zu zivilisieren und bis dahin ist das erste, das wichtigste Gebot Mekka zu isolieren und Rasu als reine Beobachter einzusetzen. Ganz so wie ein Mensch einen Ameisenhaufen betrachtet und versucht in dem Gewusel Strukturen zu erkennen. Und obwohl ihr Herz so kalt wie ein Stein geworden war begab sie sich jetzt doch zurück in die eigene Gefühlswelt dieser zehnjährigen Talaboa in der Saharaoase an der Seite ihrer Mutter.
Ihr Entschluss stand jetzt fest. Sie würde das Bao Mädchen retten. Nicht wegen der alten Gefühle und auch nicht wegen dem Mädchen selbst, sondern weil es eine logische Gelegenheit war. Ein ganzes Jahr hatte sie in dieser Gegend kein freies Bao Mädchen gefunden. Das Schiff würde im nächsten Frühjahr kommen. Es blieb also nicht mehr viel Zeit für ihre Suche. Und dieses Mädchen würde, wie bei diesen nördlichen Stämmen üblich, in einer Opferzeremonie bei lebendigem Leib verbrannt werden.
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