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Kapitel I - Baba

Baba hasste nichts mehr als Därme zu waschen. Es roch einfach widerlich und sie musste ständig, mit aller Kraft, ihren Würgereiz unterdrücken damit wirklich niemand von den Proleta oder gar den Gebietern mitbekam, dass sie würgen musste. Denn schon allein dafür würde sie starke Schmerzen erleiden müssen.

Die übliche Strafe war Ritzen. Schon oft wurde ihr mit einem scharfen Steinsplitter die Haut an den Armen und Beinen aufgeschnitten und irgendwelcher Dreck in die Wunde gestreut damit es sich schmerzhaft entzündete und lange nicht abheilen konnte. Und Bao Sklaven wurden oft geritzt. Für jede Kleinigkeit, manchmal sogar nur für einen Blick. Man durfte die Gebieter, die Herra in keinem Fall direkt anblicken. Dabei waren sie so interessant und so wunderschön. Sie hatten keine solch eine hässliche, glatte, gleichmäßig braune Haut wie die Bao. Die helle Haut der Herra war bunt gescheckt mit vielen verschiedenen Braun- und Rottönen. Und die Haut war übersäht mit Erhebungen und Linien die tiefrot leuchteten oder dunkelbraunen Flecken, die phantasievolle Formen bildeten. Alle Herra waren stolz auf ihre Male die sie Merkki nannten. Sie fertigten sogar ihre Kleidung so an, dass man ihre prächtigsten Merkki immer gut sehen konnten. Aber auch abgesehen von den Merkki hatten die Herra auch diese wundervolle Vielfalt. Nicht wie die Bao, einfach nur zwei gleich lange Arme mit zwei Händen und fünf Fingern. Jeder Bao war wie der andere, alle gleich. Nein, diese wundervollen Herra waren alle unterschiedlich. Die Gliedmaßen fast immer unterschiedlich lang und verschieden aufgebaut. Mal waren es nur zwei Finger oder Zehen, aber Baba hatte auch schon eine Geschichte von zwölf Fingern an einer Hand gehört. Kolmijalka war besonders stolz auf sein drittes Ärmchen das ihm aus dem linken Schulterblatt gewachsen war. Wenn auch eine echte Hand daran fehlte, konnte er den kleinen Arm trotzdem ein wenig bewegen. Das sah so toll aus. Baba beobachtete Kolmijalka immer, wenn er ihr den Rücken zudrehte und bewunderte seinen schönen Körper und sein elegantes Wippen und Schlurfen, wenn er lief. Fast jede Nacht betete Baba lautlos zu Jumala, ihr doch auch so einen weiteren Arm wachsen zu lassen, oder wenigstens einen weiteren Finger, aber mindestens einen Fleck auf ihrer Haut, sie wäre auch schon mit einem winzig kleinen zufrieden. Und jeden Morgen suchte sie ihren Körper ab und fand nichts. Gar nichts. Es war hoffnungslos. Sie würde wohl immer hässlich und abstoßend bleiben und niemals auch nur annähernd so wunderbar aussehen wie Kolmijalka.

Kolmijalka war ihr Herra und sie war sein Eigentum. Soweit Baba sich erinnern konnte war das so. Baba hatte keine Erinnerungen an ihre Eltern und wusste nichts über ihre Herkunft, doch wenn sie sich mit Ruma verglich, einer anderen Bao Sklavin die hier mit ihrer Mutter lebte, dann kam sie zu dem Schluss, dass sie ungefähr zehn Jahre alt sein musste, denn das war Rumas Alter und sie war in etwa gleich groß und ganz ähnlich gebaut. Wie ihr Finn-Name schon ausdrückte, war Ruma besonders hässlich. Diese völlig glatte, braune Haut ohne auch nur einen Flecken und das Schlimmste: Sie hatte strahlend gelbe Augen. Wie ein Panther, ein Bao. Braune Haut, schwarzes Haar und Katzenaugen. Daher hatten die Bao ihren Namen der eher als Beschimpfung gedacht war. Alle Bao hatten helle, meist grüne und manchmal gelbe Augen und eben diese abstoßende, gleichmäßig braune Hautfarbe. Vom dichten schwarzen Haar konnte man nichts entdecken weil alle Bao-Sklaven jede Woche von den Proleta kahl rasiert wurden.

Den Bao war es nicht erlaubt zu reden. Niemals. Deshalb konnte Baba auch fast nicht sprechen und kannte nur wenige Wörter. Manchmal, wenn sie geschickt wurde um allein im Wald Holz zu brechen, dann sprach sie die Worte laut vor sich hin die sie aufgeschnappt hatte.

„Finn.“

So hieß die Sprache die alle hier sprachen.

„Sami.“

So nannten die Herra ihr Volk, ihren Stamm.

„Orja.“

Was Sklave auf Finn bedeutete. Aber die Sami Kinder riefen sie immer nur verächtlich Bao und verspotteten sie und ihr hässliches Aussehen.

„Bao Kauppas.“

Das war die Bezeichnung für Sklavenhändler, denn eigentlich waren alle Sklaven Bao. Aber das Wort Bao war kein Finn, sondern ein Wort in der Sprache der Sklavenhändler die von weit her und nur sehr selten hierherkamen.

In jedem Jahr gab es genau zwei Tage an dem alle Herra und alle Proleta sich versammelten und die Bao ganz alleine unter sich waren. Dies waren die wenigen Stunden in denen sich Baba mit Ruma und ihrer Mutter flüsternd unterhalten konnte. Aufgrund des Sprechverbotes an allen anderen Tagen fehlten den Bao Sklaven einfach viele Worte und so unterstützte man jedes Wort mit den Händen und vielen Gesten. Auf diese Weise fand Baba heraus, dass hier bei diesem Satmm vom Volk der Sami insgesamt nur fünf Bao Sklaven lebten. Bao waren sehr teuer denn sie wurden von dort wo die Sonne aufging, hierhergebracht und die Reise dauerte mehr als ein Jahr. Nur die angesehensten Herra konnten sich Bao Sklaven leisten. Die anderen mussten sich mit Proleta zufriedengeben. Proleta waren keine echten Sami, aber auch keine Sklaven, denn sie wurden für ihre Arbeit, zwar dürftig aber immerhin, bezahlt. Und sie durften jederzeit weiterziehen. Ein Teil ihrer Arbeit war es die Bao zu beaufsichtigen und ihnen Aufgaben zuzuweisen. Kolmijalka war der Chef des Sami Stammes und gleichzeitig der reichste Mann weit und breit, denn er hatte mit Abstand die größte Rentierherde. Als Preis für Rumas Mutter Kabu hatte er damals angeblich zwanzig Rentiere gegeben und damit noch den Bao Kauppas übers Ohr gehauen.

„Der Trottel hat nicht bemerkt, dass die Bao Frau hochschwanger ist. Zwei Sklaven zum Preis von einem. Ha, ha, ha!“, erzählte Kolmijalka wieder und wieder wenn er Gäste im Haus hatte.

Doch Kabu wusste es besser. Der Bao Kauppas kam wenige Monate später wieder vorbei und brachte Baba mit. Offensichtlich wusste er genau Bescheid über ihre Schwangerschaft und nahm an, dass die Boa Frau noch genug Milch übrig hatte für ein zweites Baby. Niemand sonst würde ein Bao Baby stillen oder mit Rentiermilch versorgen außer einer Bao Frau. Der Handel war schnell gemacht. Auch bei diesem Geschäft sah sich Kolmijalka wieder klar im Vorteil. Das zweite Baby war günstig im Vergleich. Und es trug trotzdem zu seinem hohen Ansehen bei, denn die hohe Anzahl an Bao Sklaven drückte seinen Wohlstand und seine Macht aus.

Bao Kauppas, die Sklavenhändler kamen aus einem Land das von Kabu Asia genannt wurde. Dort haben die Menschen ganz andere Gesichtszüge und es gibt viel, viel mehr Bao. Ja es gibt dort sogar freie Bao, keine Sklaven. Sie lebten einfach so in der Gemeinschaft der anderen Menschen. Baba konnte sich das einfach nicht vorstellen. Wie sollte das gehen? Wie konnten die Herra in Asia das hinnehmen?

„Name…Baba…wo?“, fragte Baba flüsternd.

„Bao Kauppas…sagen.“, flüsterte Kabu zurück und ergänzte: „In Asia Sprache…Baba…Name für klein, klein, klein Kind.“

„Bao Kauppas…sagen…Mama von Baba… wo?“

Kabu zuckte nur mit den Schultern und schüttelte mitleidig den Kopf. Baba war sehr enttäuscht. Sie musste doch auch eine Mutter haben. Genau wie Ruma. Nur hatte Ruma eben das Glück bei ihrer Mutter zu sein. Baba wollte alles erfahren über Asia und die Bao dort und vor allem über Kabus Erlebnisse und wie es kam, dass sie jetzt hier bei den Sami sein muss. Vielleicht ist da auch der Hinweis auf ihre eigenen Eltern versteckt.

„Kabu…ist Sklave in Asia?“, bohrte Baba.

„Nein, nein. Sklave ist Strafe…wenn Fehler.“, erklärte Kabu.

Nach und nach fand Baba heraus, dass es in Asia verboten war wenn eine Bao sich mit einem Nicht-Bao verbindet. Kabu wuchs in Asia auf, in den Bergen bei einem Ort den sie Katmandu nannte.

„Herra…in Asia…böse?“, fragte Baba.

„Kein Herra!“, betonte Kabu und schüttelte den Kopf dabei.

Langsam verstand Baba, dass es dort wo Kabu herkam, keine Sklaven gab und auch keine Gebieter von Sklaven. Es gab lediglich die Nicht-Bao die sich Newar nannten. Die Newar hatten auch eher eine dunkle Haut unterschieden sich aber durch die verwachsenen Körperteile, helle rote Flecken und dunkelbraune oder schwarze Augenfarben von den Bao.

Kabus Mutter verschwand als sie noch klein war, doch ihr Vater sprach nie darüber. Kabu war etwas älter als Baba jetzt, vielleicht zwölf Jahre alt und sie fand einen der Nicht-Bao sehr anziehend und näherte sich ihm. Er hatte nichts dagegen. Doch sie wurden entdeckt und der Stamm fand das übliche Urteil für eine Bao die sich einem der ihren nähert. Verkauf in die Sklaverei. Kabus Vater wollte sie befreien und mit ihr fliehen, aber sie wurden schnell entdeckt und bei dem Kampf wurde Kabus Vater tödlich verletzt. Kurz bevor er starb flüsterte er seiner Tochter etwas ins Ohr. Wenn sie sich irgendwie befreien könne, dann solle sie im Süden nach einem Ort namens Mekka suchen, denn ihre Mutter lebe dort. Und so wurde sie dem nächsten Sklavenhändler verkauft. Die Sklavenhändler kamen meistens vom Volk Mongol das weitgehend den fahrenden Handel beherrschte. Es gab alle möglichen spezialisierten Händler. Die Sul handelten mit Plastikflaschen, Kanistern und anderen Behältern aus Kunststoff. Man sollte ihnen niemals die Hand geben, denn angeblich graben sie das Zeug an geheimen Orten aus der Erde und in der Erde leben die Dämonen. Manch einer habe schon seine Hand verloren, nur weil er einen Sul Händler berührt habe. Und es gab die Shi-Pin Händler die mit dämonenfreien, getrockneten Insekten, Fleischstücken und Früchten handelten. Manche von ihnen hatten auch göttliches Wasser dabei was einen schwindelig machte. Die Gong Händler brachten die verschiedensten Werkzeug aus Knochen und Stein mit und ganz selten auch Messer oder Werkzeug aus Metall. Doch diese Wunderdinge konnten sich nur sehr wohlhabende Menschen leisten. Schließlich gab es noch die Bao Kaupas, die Sklavenhändler die in Katmandu mit leeren Karren kamen und mit vollen Karren weiterzogen.

Kabu war zu jung, zu schwanger und nicht kräftig genug um schnell verkauft zu werden. Der Sklavenkarren in dem alle Bao angebunden waren, leerte sich mit jeder neuen Siedlung zusehends bis nur noch Kabu übrigblieb. Sie und der Bao Händler waren inzwischen schon weit im Westen. Doch niemand wollte Kabu kaufen. Der Bao Händler wusste was zu tun war und verkaufte Kabu einfach in der nächsten Siedlung an einen anderen Händler von einem Stamm den Kabu nicht kannte. Es war kein Mongol, musste also keine Handelsregeln befolgen und sein Karren beförderte alle möglichen Güter und Waren bis tief in den Nordwesten. Auch zwei Sklaven, Kabu und ein großer Mann der eher vom Volk des Händlers zu sein schien. Der Mann wurde sofort verkauft und immer wieder auch andere Waren. Es wurde zunehmend kälter und manchmal schneite es sogar. Die Siedlungen waren hier oben oft mehrere Tagesreisen auseinander. Der Karren leerte sich langsam und Kabu hatte mehr und mehr Platz um es sich gemütlich zu machen. Und schließlich, als der Händler schon fast aufgeben wollte und Kabu langsam die Hoffnung erlangte, dass sie vielleicht zurück nach Osten, näher zu in ihrer Heimat gebracht werde, kaufte Kolmijalka sie mit seinem schiefen, breiten Grinsen. Als der Händler sie losband flüsterte er ihr fröhlich zu: „Dass du am Ende mein bestes Geschäft sein wirst hätte ich nie gedacht. Aber dieser idiotische Trampel glaubt ja noch er zahlt einen Schnäppchenpreis. Glaub mir, das hier ist eine Goldgrube hier für alle meine Ladenhüter. Ich komme bald wieder.“

Doch außer dem einen Mal als er Baba brachte kam er nie wieder.

Baba fieberte jedes Mal den Tagen der Versammlung entgegen und die Gelegenheit mit Ruma und Kabu sprechen zu können. Sie merkte sich jedes Wort das sie bei den Herra und den Proleta aufschnappte und versuchte dann mit den beiden die Bedeutung herauszufinden. Aber noch viel mehr freute sie sich auf Kabus Geschichten aus dem fernen Land in dem es freie Bao gab.

„Ei unta!“, zischte Kog bösartig. Kog war einer der Proleta die für Kolmijalka arbeiteten. Baba kannte die Worte schon. Sie bedeuteten, dass sie nicht träumen, sondern schneller die Därme ausspülen solle. Kog war, verglichen mit den anderen, eigentlich ganz nett. Sein „Träum nicht“ war eine Warnung. Jeder andere Proleta hätte ohne jede Warnung sofort zugeschlagen. Jetzt aber bemühte sie sich Kog zu zeigen, dass es nicht notwendig war ihr eins überzuziehen und tauchte den Rentierdarm schnell in das eiskalte Wasser des Bachs und zog den gefüllten Darm durch ihre Faust, so dass der meiste Inhalt in das Wasser gedrückt wurde und davonschwamm. Es stank fürchterlich. Baba musste den Darmschlauch wieder und wieder untertauchen, mit Wasser volllaufen lassen und die letzten Reste herausdrücken. Doch leider war es nicht nur ein Darm. Sie hatte noch dreiundzwanzig weitere vor sich. Es war schon Mittag als sie endlich fertig war. Baba konnte ihre Hände kaum noch spüren. Sie waren knallrot von dem kalten Wasser und Baba presste sie unter ihre Achseln um sie aufzuwärmen. Jetzt hätte sie unheimlich gerne eine Schale heiße Suppe geschlürft, aber es war nicht üblich, dass Sklaven tagsüber etwas zu essen bekamen. Nur Puhuu Jumala steckte ihr manchmal etwas zu. Der kleine Mann hatte eine seltsame Sonderstellung bei den Sami. Sein Name war nicht sein richtiger Name, denn er bedeutete so viel wie „Spricht zu Gott“. Puhuu Jumala hat das zweite Gesicht, so sagten die Herra. Er kann Bilder in der Zukunft sehen. Und er kennt die Kräuter im Wald die keine Dämonen in sich tragen. Alle Sami versorgten ihn mit allem was er brauchte. Dafür gab er ihnen seinen Rat und manchmal Heilung bei Krankheiten.

„Puu!“, befahl Kog jetzt und brachte damit zum Ausdruck, dass Baba in den angrenzenden Birkenwald gehen sollte um Holz zu brechen. Das Ganze war eine ziemlich komplizierte und zeitraubende Aufgabe. Der Boden war böse, denn der Boden war voller Dämonen. Baba durfte auf keinen Fall einfach die abgefallenen Äste und Birkenstücke vom Boden aufsammeln. Sie musste sich Birken suchen der Äste nicht ganz so weit oben vom Stamm abgingen, am Stamm nach oben klettern und ganze Äste abbrechen indem sie sich dranhängte bis sie abbrachen. Beim Herunterfallen musste sie peinlich darauf achten, dass die Äste nicht den Boden berührten und dann den Ast zu einem der vielen Lagerplätze tragen. Die Lagerplätze waren gekreuzt aufgestellte Birkenstämme und verhinderten einfach nur, dass die gebrochenen Äste den Boden berühren konnten. Die Arbeit war getan wenn Baba so viel Holz gebrochen hatte wie sie gerade noch zurück ins Dorf tragen konnte. Manchmal hatte Baba Glück und entdeckte Bäume die vom letzten Sturm umgestoßen waren. Dann konnte sie relativ leicht und schnell sehr viele Äste abbrechen und hatte entsprechend mehr Zeit den Wald zu erkunden. Puu brechen war Babas Lieblingsaufgabe, denn meistens war sie dabei ganz allein. Die Herra würden niemals ohne Not in den Wald gehen. Überhaupt gibt es nur wenige Orte rund um das Dorf die die Herra für ungefährlich erachteten. Sie bewegten sich prinzipiell nur in ganz bestimmten Bereichen und auf den Weiden bei ihren Rentierherden. Der Wald war voller Dämonen von denen man befallen werden konnte und die den frühen, schmerzvollen Tod bringen. Und auch die Proleta mieden den Wald wo es nur ging, aber wenn sie für ein Herra-Haus arbeiteten, dass sich keine Sklaven leisten konnte, dann mussten auch die Proleta das Puu brechen gehen. Für Baba war es die pure Freiheit und Sicherheit. Niemand beobachtete sie, niemand bestrafte sie und Dämonen hat sie bisher noch keine entdecken können. Nur Tiere, sehr viele Tiere kreuzten ihren Weg.

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